Apple vs. Google: Ziemlich beste Feinde

Selten so einen guten Artikel beim Standard gelesen, den ich hier zitieren muss und dauerhaft speichern möchte.

Nach außen pflegen die beiden Unternehmen das Bild erbitterter Konkurrenten, in Wirklichkeit profitieren sie aber auf vielen Ebenen massiv voneinander

Aus heutiger Sicht mag es kaum mehr vorstellbar sein – aber es gab tatsächlich eine Zeit, da pflegten Apple und Google eine innige Freundschaft. So präsentierte Apple-Gründer Steve Jobs die Möglichkeiten des ersten iPhones dereinst noch stolz anhand von Google Maps. Der damalige Google-Chef Eric Schmidt durfte sich bei dem denkwürdigen Ereignis sogar die Bühne mit Jobs teilen. Das ist allerdings ein Stück weit weniger überraschend, wenn man weiß, dass Schmidt zu diesem Zeitpunkt neben seinen Google-Aufgaben auch noch Teil des Aufsichtsrats von Apple war.

Ein historischer Moment: Bei der Präsentation des ersten iPhones teilten sich Apple-Gründer Steve Jobs und der damalige Google-Chef Eric Schmidt noch die Bühne.

Der große Bruch

Doch dann kam Android – und plötzlich war nichts mehr wie zuvor. Jobs fasst Googles Entwicklung eines eigenen Smartphone-Betriebssystem als eine Art persönlichen Verrat auf – hatte er doch darauf gehofft, endlich eine Branche vollständig mit den eigenen Geräten dominieren zu können. Durch Android drohte aber eine Wiederholung desselben Schicksals, das der Apple-Gründer schon im PC-Markt hinnehmen musste: die Begrenzung auf eine – wenn auch einträgliche – Nische.

Ganz so schlimm sollte es zwar für Apple schlussendlich nicht kommen – das Unternehmen dominiert bis heute den einträglichen US-Markt, der App Store ist zudem finanziell einträglicher als Googles Play Store – der Bruch mit dem Suchmaschinenhersteller war aber nachhaltig. Während man nach außen so tat, als wäre die Konkurrenz im Smartphone-Markt kein großes Problem, brodelte es hinter den Kulissen ganz gehörig. Laut Jobs-Biograf Walter Isaacson hatte der Apple-Gründer intern wörtlich den „thermonuklearen Krieg“ gegen Google ausgerufen.

Auf offizieller Ebene erfolgte der Bruch deutlich zivilisierter: Eric Schmidt zog sich im August 2009 aus dem Apple-Aufsichtsrat zurück. In der dazugehörigen Pressemitteilung streute Jobs seinem mehrjährigen Partner gar Rosen: Schmidt sei ein exzellentes Board-Mitglied gewesen. Da Google sich aber mit Android und Chrome OS zunehmend in Konkurrenz zu Apples Kerngeschäft begebe, seien die Interessenkonflikte zu stark, als dass Schmidt weiter effektiv seine Arbeit für den iPhone-Hersteller verrichten könne. Ganz ungelegen dürfte diese Trennung den beiden Unternehmen aber ohnehin nicht gekommen sind – hatte ihre Kooperation doch damals bereits das Interesse der US-Regulationsbehörde FTC auf sich gezogen, die dieses „marktbeherrschende Verhältnis“ näher untersuchen wollte.

Klare Verhältnisse, oder?

Seitdem sind Verhältnisse zumindest oberflächlich betrachtet klar abgesteckt: Apple und Google bilden so etwas wie Antipoden im Smartphone-Markt. Während Apple mit Privacy-Versprechen wirbt, sammelt Google eifrig Daten für sein Werbegeschäft. Umgekehrt setzt Google auf Offenheit und Partnerschaften, während Apple alles daran setzt, die Nutzer in seinem Ökosystem gefangen zu halten.

In Wirklichkeit ist die Situation natürlich erheblich komplizierter. So wird etwa Apples Privacy-Versprechen nicht aus moralischen, sondern schlicht aus strategischen Überlegungen gespeist. Das Unternehmen hat hier einen Schwachpunkt bei der Konkurrenz ausgemacht, den man gezielt angreifen kann, da man selbst kein relevantes Werbegeschäft betreibt. Dass man sich parallel dazu gerade selbst eine Klage wegen User-Tracking für Werbung eingefangen hat, will auch nicht so recht in diese öffentliche Inszenierung passen. Zumindest ist es Apple mit dieser Debatte über viele Jahre gelungen, andere Kritik weitgehend in den Hintergrund zu drängen: ebenjene an den steten Lock-in-Bestrebungen – der obersten Prämisse, die Nutzer in den „goldenen Käfig“ zu bekommen, um dann an jedem einzelnen Deal mitzunaschen, egal ob es um Apps oder Hardwarezubehör geht.

Die Realität ist komplizierter

Umgekehrt ist das Narrativ des ach so offenen Android nicht minder verkürzt. Klar – Android ist weiter als Open Source verfügbar, und das hat unleugbare Vorteile. Gleichzeitig ist es Google aber gelungen, das Android-Ökosystem über Verträge praktisch zur Gänze unter seine Kontrolle zu bekommen.

Geräte ohne Google-Dienste und ohne Play Store sind außerhalb Chinas kaum verkaufbar, wie gerade Huawei schmerzlich zur Kenntnis nehmen muss. Viele rund um Android gerne betonte Freiheiten sind für die breite Masse bloß theoretischer Natur. Das gilt auch für Entwickler, für die es keinen – realistischen – Weg gibt, der um den Play Store herumführt, wo dann Google an den Einnahmen auch nicht weniger als Apple mitschneidet.

Milliardendeals im Hintergrund

Vor allem aber: Die Beziehung zwischen den beiden Unternehmen ist erheblich komplexer, als es auf den ersten Blick den Anschein machen mag. Denn während man öffentlich um Marktanteile kämpft, läuft im Hintergrund einer der einträglichsten Deals der gesamten IT-Geschichte. Zwischen acht und zwölf Milliarden US-Dollar überweist Google jedes Jahr an Apple, damit die eigene Suchmaschine am iPhone die Default-Wahl bleibt. Eine Abmachung, die für beide große Bedeutung hat: für Google vor allem eine strategische, für Apple eine finanzielle. Denn selbst für den iPhone-Hersteller macht das satte 15 bis 20 Prozent des gesamten Gewinns aus.

Und auch das Thema Privatsphäre stellt sich bei näherer Betrachtung anders dar. Denn während es zunächst so wirken mag, als würde all die Kritik – und dazu gehören auch die regelmäßigen Seitenhiebe von Apple – negative Auswirkungen auf Google haben, lässt sich diese mit Zahlen nicht belegen. Auf die Marktanteile von Android hat diese Diskussion bislang ebenso wenig Auswirkung wie auf die Nutzung beliebter Google-Dienste. Hier zeigt sich einmal mehr, dass den Usern zwar bei Befragungen Themen wie Privatsphäre ein echtes Anliegen zu sein scheinen; in der Praxis ziehen sie aber nur selten die entsprechenden Konsequenzen – einerseits aus Bequemlichkeit, aber auch, weil die Google-Dienste oftmals einfach sehr gut funktionieren.

Die Privacy-Kritik hilft Google

Ganz im Gegenteil könnte man die These aufstellen, dass all die Privacy-Diskussionen Google sogar gestärkt haben. Das Unternehmen hat bislang in all den Regulierungsversuchen, in sämtlichen diesbezüglichen Gesetzesänderungen geschickt navigiert und diese, wo es irgendwie geht, zu einem Vorteil umgekehrt. So wurde etwa die Datenschutzgrundverordnung nicht zuletzt mit dem Versprechen beworben, US-amerikanischen IT-Riesen Einhalt zu gebieten. In der Realität gab es wohl kein Unternehmen, das besser auf diese Umstellung vorbereitet war als Google. Während viele kleine Firmen bis heute mit den Auswirkungen der DSGVO kämpfen, hatte der Softwarehersteller aus dem kalifornischen Mountain View seine Systeme am Tag eins an die Regeln angepasst – also zumindest auf die eigene Rechtsmeinung dazu.

Ob man dann später noch Nachbesserungen vornehmen muss oder gar Strafzahlungen zu leisten hat, ist dem Unternehmen herzlich egal. Wenn die EU-Klagen der vergangenen Jahre etwas zeigen, dann, dass Firmen wie Google selbst Milliardenstrafen schlucken, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Einfach weil man es kann. Solange die Gelddruckmaschine Werbegeschäft ungestört weiterläuft, sind das bestenfalls kleine Unannehmlichkeiten auf dem Weg zum nächsten Rekordgewinn.

Im konkreten Beispiel kommt noch dazu, dass viele Firmen angesichts der verschärften Datenschutzregeln zunehmend davor zurückschrecken, eigene Server zu betreiben, und ihre Infrastruktur lieber in die Cloud auslagern – wo dann erst recht wieder Unternehmen wie Amazon, Microsoft oder eben Google warten. Und diese langfristigen Gewinne sind nun mal wichtiger als einmalige Strafzahlungen.

Das Anti-Tracking-Paradoxon

Aber was hat nun Apple damit zu tun? Um das zu verdeutlichen, nehmen wir ein konkretes Beispiel: Im Rahmen seines Privacy-Fokus hat sich der iPhone-Hersteller zunehmend „Third Party Cookies“ und seitenübergreifende Tracker als Gegner auserkoren. Das klingt zunächst nach einer substanziellen Bedrohung für Google, immerhin sammelt das Unternehmen über sein Werbenetzwerk massiv solche Daten. In Wirklichkeit ist aber genau das Gegenteil der Fall: Denn falls solche Tracker einmal verboten werden, mag das schlecht für Google sein, es ist aber für alle anderen noch schlechter – und damit relativ gesehen wieder gut für Google. Hat Google doch über seine eigenen Dienste wie Gmail, Google Maps oder den Browser Chrome dermaßen viele direkte Informationen über seine User, das man nicht von solchen Infos aus Drittquellen abhängig ist. Für all die kleineren Werbenetzwerke wäre dies hingegen wohl der Todesstoß.

Was macht nun Google in dieser Situation? Man lässt einfach in aller Ruhe andere Firmen wie Apple und Mozilla voranschreiten, um dann mit einem gewissen zeitlichen Abstand zu verkünden, dass man angesichts der sich verändernden Privacy-Erwartungen der Nutzer folgen muss. Also hat auch Google vor einigen Monaten das schrittweise Ende für „Third Party Cookies“ bei Chrome verkündet. Alles schön langsam, wie es sich für einen Marktführer gehört, zudem sollen „Privacy-sensible“ Schnittstellen als Alternativen für Werbende geschaffen werden. Gleichzeitig gibt es aber wohl keinen Beobachter, der daran zweifelt, dass danach Googles Werbegeschäft besser dastehen wird als zuvor.

Dass dies das Endergebnis der aktuellen Entwicklung sein wird, ist mittlerweile natürlich auch so manchem Konkurrenten aufgefallen. Also versucht man über die Kartellwächter Druck auf Google auszuüben, um diese Änderungen zu verhindern. Das Problem dabei: Google befindet sich argumentatorisch in einer perfekten Situation – kann man sich doch einfach zurücklehnen und sagen, dass man damit lediglich der Marktentwicklung folgt.

Vor allem aber sind diese Privacy-Verbesserungen ja tatsächlich im Interesse der User. Der Wildwuchs an Unternehmen, die einzig darauf ausgerichtet sind, umfassende Nutzerprofile zu erstellen und gewinnbringend zu verkaufen, stellt ein ernsthaftes Problem dar. Und diesen wird das Leben mit solchen Änderungen erheblich schwerer gemacht. Dass sich Kartellwächter aktiv gegen solch signifikante Verbesserungen bei der Privatsphäre im Web stellen, erscheint eher unwahrscheinlich – hier kann man in der öffentlichen Meinung eigentlich nur verlieren.

Immer ein paar Schritte voraus

Oder um ein ganz aktuelles Beispiel zu nehmen: Google hat von Apple auch den PR-Wert von Privacy-Maßnahmen gelernt – und dies gleich geschickt mit strategischen Überlegungen verbunden. So schickt sich Google gerade an, seine Services wieder zu entbündeln, also all die Integrationen zwischen verschiedenen Diensten erst auf expliziten Wunsch der User vorzunehmen. Der erste Schritt in diese Richtung wurde gerade rund um Gmail angekündigt, andere dürften bald folgen.

Dabei macht man auch gleich die ganzen „smarten“ Auswertungen der Nutzer-Mails optional – wohl wissend, dass es genau dieses Features sind, die die eigenen Angebote von anderen abheben und dementsprechend der allergrößte Teil der Nutzer ohnehin freiwillig zustimmen wird. Für Regulationsversuche reduziert man damit aber die Angriffsfläche massiv.

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Natürlich sind diese verschärften Privacy-Regeln trotzdem – zumindest zumeist – positiv für die Nutzer. Liegt doch im Internet tatsächlich vieles im Argen, dass es zu bereinigen gilt. Wer darin allerdings ein probates Mittel wähnt, um große IT-Riesen in den Griff zu bekommen, der sitzt einer Illusion auf.

Pragmatismus wird zu Kooperation

Doch zurück zum Verhältnis zwischen Apple und Google. Dieses dürfte nämlich hinter den Kulissen längst nicht mehr so angespannt sein, wie es noch vor einigen Jahren der Fall war. Ganz im Gegenteil. Eine aktuelle Untersuchung des US-Justizministeriums berichtet etwa davon, dass sich die aktuellen CEOs von Apple und Google – also Tim Cook und Sundar Pichai – im Jahr 2018 getroffen haben, um gemeinsam zu beraten, wie der Umsatz rund um die Suchmaschine weiter gesteigert werden könnte. Das Gespräch dürfte dabei laut der Mail eines hohen Apple-Angestellten recht fruchtbar gewesen sein: „Unsere Vision ist es, wie ein Firma zusammenzuarbeiten.“

An anderen Stellen ergibt sich der Zusammenklang hingegen automatisch. So zählen Google-Apps weiterhin zu den beliebtesten unter iOS – was natürlich wiederum gut für das Apple-Geschäft ist. Umgekehrt weiß Google natürlich iOS als Plattform zu schätzen – die in der internen Kalkulation kaum weniger wichtiger ist als Android. Zudem fungiert Apple – so wie in anderen Bereichen Facebook – als eine Art Schutzschild für Google. Das zeigt sich bei den aktuellen App-Store-Diskussionen sehr gut. Der Android-Hersteller muss die Regeln rund um Android und den Play Store nur eine Spur weniger restriktiv als Apple auslegen, damit der Hauptteil der Kritik auf den iPhone-Hersteller abgelenkt wird.

Eine ziemlich symbiotische Feindschaft

Was bleibt, ist eine simple Realität: Apple und Google üben im Smartphone-Markt das wohl erfolgreichste Duopol der Geschichte aus. Und daran wird sich auch auf absehbare Zeit nichts ändern, die Dominanz von Android und iOS ist so groß wie nie, ein realistischer Herausforderer nicht in Sicht. Und während der Wettstreit zwischen den Fans oftmals mit viel Leidenschaft ausgetragen wird, ist den Firmen klar, dass sie voneinander profitieren. Wenn man also das Verhältnis von Apple und Google unbedingt als eine Feindschaft sehen will, dann ist es eine ziemlich symbiotische.

(Andreas Proschofsky, 29.11.2020)

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.